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Karriere trotz Teilzeit: Wie die Anästhesiologie den Weg für das Top-Sharing an der Charité bereitete

Oberärztliches Top-Sharing hält seit 2018 verstärkt Einzug in den Klinikalltag der Charité. Das Führungsmodell verändert traditionell und hierarchisch geprägte Strukturen und ermöglicht auch Mitarbeitenden in Teilzeit, den nächsten Karriereschritt zu gehen – kein Wunder also, dass es sich zunehmender Popularität erfreut. Die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin unter der Leitung von Professorin Dr. Spies ist Wegbereiterin für die flexiblen Ä3-Karrieremodelle. Im Interview geben sie und ihr Team Einblicke, warum Top-Sharing gerade in einem hoch spezialisiertem Fachbereich Vorteile mit sich bringt, weshalb Narzissmus keinen Platz im Top-Sharing hat und wer von dem Modell profitieren kann.

Die Anästhesistinnen Dr. Harbeck-Seu und Dr. Chalk bilden unter Prof. Dr. Spies ein Top-Sharing-Team am Campus Charité Mitte.

Ein Blick auf die Geschlechterverteilung ärztlicher Führungspositionen der Charité verrät, dass wir, die Berliner Universitätsmedizin, in Sachen Gleichstellung noch nicht am Ziel angekommen sind. Während bei den Fachärztinnen und Fachärzten (Ä2) der Frauenanteil bei 56 % liegt, sind es in oberärztlichen Positionen (Ä3) nur noch 38 %. Bei den Chefärztinnen und Chefärzten (Ä4) ist die Verteilung 33 % Frauen und 67 % Männer – das zeigen die Zahlen von Dezember 2023 und Juni 2024.

Hier für ein Gleichgewicht zu sorgen, hat eine hohe Priorität. Und erste Erfolge sind erkennbar. Immer mehr Frauen erreichen Leitungspositionen. Auch bzw. gerade wegen Personen wie Frau Professorin Dr. Spies, die nicht nur in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin als Direktorin eine Vorreiterinnenrolle exzellenter Krankenversorgung, Forschung und Lehre eingenommen hat, sondern auch in Sachen “New Work” innovative Arbeitsmodelle an der Charité vorantreibt und unterschiedliche Ä3-Karrieremodelle etabliert hat. 

Bereits 2018 begann sie, Top-Sharing in ihrer Klinik zu etablieren. Ziel war es, Leitungspositionen mit den richtigen Personen zu besetzen, losgelöst von der reinen Anzahl an zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden. Sie bildete Doppelspitzen und schaffte es so, Kolleginnen und Kollegen mit deren Wissen und Kompetenzen an der Charité zu halten und weiterzuentwickeln, die womöglich sonst andere Wege eingeschlagen hätten.

Professorin Dr. Spies blickt nicht nur auf eine außergewöhnliche Karriere zurück, sie blickt insbesondere nach vorne und führt die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin medizinisch wie personell in die Zukunft.

Interview: Ärztliche Doppelspitze in der Klinik für Anästhesiologie & Intensivmedizin

Prof. Dr. Spies hat als ärztliche Centrumsleitung & Klinikdirektorin das Top-Sharing an der Charité eingeführt. Wir haben mit ihr und einem ihrer Leitungstandems gesprochen.

Frau Professorin Spies, wann hat Ihre Klinik die erste Top-Sharing Stelle besetzt und wie kam es dazu?

Prof. Dr. Spies: „2018 haben wir uns mit Frau Dr. Jenner (Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte) und Frau PD Issever (Radiologin, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte) zusammengesetzt und überlegt, wie wir Top-Sharingmodelle bei uns etablieren und strukturelle Hemmnisse aus der Welt schaffen können. Unser Ziel war es, Kolleginnen (und später auch Kollegen), die aufgrund von Teilzeitarbeit bisher eingeschränkte Karrieremöglichkeiten hatten, neue Perspektiven zu eröffnen.

Denn gerade in unserem Fachgebiet – in der Intensivmedizin und Anästhesiologie – gehören Schicht- und Bereitschaftsdienste zur Arbeit dazu, weshalb viele Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeitszeit reduziert haben.

Inzwischen haben wir verschiedene Top-Sharing Modelle. Manche Doppelspitzen teilen sich die Leitung bei je 50 % Teilzeit auf, die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten jedoch mit jeweils 60 % oder eine mit 50 % und die andere mit 70 %. 

Und hier liegt ein großer Vorteil des Top-Sharings. Denn um einer oberärztlichen Position gerecht zu werden, reicht Vollzeit oftmals gar nicht aus, sondern es fällt der Aufwand für 1,2 Stellen an. Dadurch, dass wir die Stellen dann bevorzugt mit zwei Personen besetzen, die zum Beispiel je 60 % arbeiten, können wir eine Kontinuität in der spezialisierten Versorgung sicherstellen und niemand geht frustriert nach Hause, weil Arbeit liegen geblieben ist."

Die gebürtige Würzburgerin legt in ihrer Arbeit an der Charité auch einen starken Fokus auf Translation – die Verzahnung von Forschung und klinischer Versorgung.

Hat sich etwas an den Rahmenbedingungen der ärztlichen Versorgung verändert?

„Das Wissen der Bereiche, gerade in unserem mit der starken Spezialisierung und hohen Verantwortung, verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen. Die Halbwertszeit des Wissens beträgt heute gerade einmal 73 Tage. Dadurch ist das ärztliche Team viel stärker in der kontinuierlichen Fort- und Weiterbildung gefordert. 

Die Medizin ist schnelllebiger geworden, die Erkrankungen komplexer und nicht nur das Aneignen von Wissen, auch dessen Implementierung ist von einer Oberärztin bzw. einem Oberarzt allein kaum zu schaffen. Deshalb müssen wir in Zukunft mehr in Top-Sharing-Modellen arbeiten, um dem Wissenszuwachs und der Translation gerecht zu werden."

Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Jahren mit dem Modell gemacht?

„Wir haben insgesamt sehr positive Erfahrungen gemacht. Insbesondere in der Kontinuität der Krankenversorgung. Wir haben es geschafft, Kolleginnen und Kollegen einen Karriereausblick zu geben und so Wissen und Kompetenzen an der Charité zu halten. Wir können so die Weiterentwicklung des Bereichs sicherstellen, auch mit Blick auf die Forschung und Lehre.

Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, Top-Sharing-Tandems zu bilden, in denen auf Augenhöhe gearbeitet wird, dass die Arbeit von außen wahrgenommen wird und entsprechende Wertschätzung erhält.

Ein weiteres Learning war, dass es bei geteilter Verantwortung einen erhöhten kommunikativen Bedarf gibt, insbesondere in Bezug auf Briefings und De-Briefings bestimmter Situationen. Es ist schon etwas anderes, wenn Entscheidungen von einer Person allein getroffen werden oder zu zweit verantwortet werden.

Wir haben hier aber viel gelernt und in Workshops erarbeitet, wie wir Prozesse und Kommunikation effizient und konstruktiv verbessern können.

Zudem ist es uns wichtig, den Kolleginnen und Kollegen über das Top-Sharing-Modell hinweg weitere Karriereanreize und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu bieten. So ermöglichen wir unterschiedlichste Qualifizierungen in weiteren Bereichen wie der Infektiologie oder der Echokardiographie. Das Ziel muss sein, dass sich die Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich weiterentwickeln können und im besten Fall bis zur Rente an der Charité wohlfühlen."

Prof. Spies: „Das Ziel muss sein, dass sich die Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich weiterentwickeln können und im besten Fall bis zur Rente an der Charité wohl fühlen."

Worauf achten Sie bei der Bildung Ihrer Top-Sharing-Tandems?

„Ich finde es besonders wichtig, dass man verlässlich, kompetent und konzentriert bei der Arbeit ist, dass man Vertrauen in das eigene Team und die Partner:innen entwickelt und delegieren kann, dass man kommunikativ offen ist und vor allem, dass die Sharenden sozial integrativ arbeiten können. Anja (Dr. Harbeck-Seu) sagt dazu #TeamPlayer.

Narzisstische Persönlichkeitsstrukturen passen dementsprechend nicht in ein Sharing-Team. Zwar kann man auch bei solchen Kolleginnen und Kollegen einen Arbeitsrahmen finden, jedoch nicht in geteilter Leitung. 
Denn nur bei Teamplayern in der Leitung stimmt dann auch im Team die Stimmung, was entscheidend ist, dass zum einen die Kolleginnen und Kollegen gerne bei uns arbeiten und zum anderen weitere Ärztinnen und Ärzte in den Bereich kommen wollen."

Zwei Teamplayer: Dr. Chalk und Dr. Harbeck-Seu arbeiten am Campus in Berlin Mitte. Sie sind sowohl in der Schmerzambulanz wie auch im OP tätig.

Dr. Harbeck-Seu, Dr. Chalk, Sie gehören an der Charité zu den Vorreiterinnen des Führungsmodells. Welche Fragen hören Sie am häufigsten aus dem Kollegium?

Beide: „Das Top-Sharing erfordert den Mut, unsere Arbeit innerhalb von Krankenhausstrukturen neu zu denken und alte verkrustete Strukturen aufzubrechen. Das Krankenhaus ist ein streng hierarchisches System, in dem inoffizielle unausgesprochene Gesetzmäßigkeiten bestehen, die die Voraussetzung bilden können, um überhaupt für eine Beförderung infrage zu kommen.

Also wir haben diese sogenannten Voraussetzungen primär nicht erfüllt, auch durch unsere Tätigkeit in Teilzeitarbeit. Unsere Kolleginnen und Kollegen waren also erstaunt und überrascht und stellten die Frage, wie die Beförderung überhaupt zustande kam bzw. möglich sein kann."

Vertrauen und Kommunikation ist beiden Ärztinnen wichtig: „Es ist immer gut, Entscheidungen auf mehreren Schultern zu tragen. Tagtäglich sind wir dafür dankbar, uns austauschen zu können."

Wie hat sich das Modell auf Ihre Work-Life-Balance ausgewirkt?

„Wir haben vor unserer Beförderung ohnehin schon in Teilzeit gearbeitet, so mussten wir zu Hause nicht groß umstrukturieren. Die Kinderbetreuung durch Kindergarten, Schule und Nanny waren schon geregelt.

Für die Work-Life-Balance ist ein Top-Sharing Modell ausgezeichnet. Vorausgesetzt, kurze Absprachen, auch wenn man gerade nicht arbeitet, stören nicht.
Wir können uns die Teilzeit-Tage fest einteilen, sodass immer einer von uns beiden vor Ort ist. Das schafft eine bessere Planbarkeit für den Alltag sowohl klinisch als auch privat."

Gibt es Konfliktpotentiale und wie umgehen Sie diese?

„So, wie das Sprichwort sagt: ‚Viele Köche verderben den Brei‘, mussten wir natürlich die Zusammenarbeit in der neuen Position auch lernen.
Grundvoraussetzung ist stetige Kommunikation, ganz enge und vor allem auch kurzfristige Absprachen. Kein Alleingang bei Entscheidungen und gegebenenfalls die in Vertretung getroffenen Entscheidungen (wenn beispielsweise jemand im Urlaub ist) mittragen. ‚Doppel-Spitze‘ bedeutet bei uns auch ‚Doppelte Kommunikation‘.

Es ist aber auch wie im Privatleben: Es ist immer gut, Entscheidungen auf mehreren Schultern zu tragen. Tagtäglich sind wir dafür dankbar, uns austauschen zu können. 
Gerade auch mit dem Hintergrund, dass der Beruf der Anästhesiologin traditionellerweise recht einsam sein kann."

Verantwortung und Führung machen Spaß. Insbesondere, wenn schwierige Entscheidungen gemeinsam abgewägt und getroffen werden.

Eine oberärztliche Position in der Anästhesiologie und Intensivmedizin bedeutet ein Maximum an Verantwortung. Wie wächst man in solch eine Verantwortung herein?

„Durch Praxis, Praxis, Praxis. Es treten so viele unterschiedliche Situationen auf einmal an einen heran. Es sind dabei nicht unbedingt die fachlichen Themen, sondern vielmehr die zwischenmenschliche Kommunikation in angespannten Situationen. Es gilt, das interdisziplinäre Team mit den vielen Schnittstellen zusammenzuhalten oder auch zusammenzubringen. Flexibilität und Kreativität sind wichtige Eigenschaften."

Der medizinische Charité-Nachwuchs, der in den Simulationsräumen (Hintergrund) die Praxis erlernt, ist im Bezug auf Geschlechterverteilung ausgeglichen. Oberärztinnen sind aber dann in einer deutlichen Unterzahl mit nur 38 %. Das muss sich ändern.

Können Sie sich auch Ihren zukünftigen Werdegang im Top-Sharing vorstellen?

„Unbedingt! Uneingeschränktes Vertrauen und Transparenz vorausgesetzt. Gerade für Frauen in reduzierten Arbeitszeitmodellen, eröffnet dies Möglichkeiten, sich karrieretechnisch weiterzuentwickeln und Führungspositionen zu übernehmen. Top-Sharing reduziert auch mögliche Ängste vor einer Überforderung und zeitliche Überbelastungen in Führungspositionen."

Jetzt in der Anästhesiologie und Intensivmedizin Karriere machen

Du kannst dir die vielseitige Arbeit in der Anästhesiologie vorstellen, kontinuierliche Weiterbildung schreckt dich nicht ab und Karrierechancen trotz reduzierter Arbeitszeit klingen ebenfalls verlockend? Dann bewirb dich jetzt. Wir suchen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte.

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Oder bewirb dich am Campus Virchow-Klinikum und Campus Charité Mitte: Zum Stellenangebot

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