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Top-Sharing im Klinikalltag: Wie die ärztliche Doppelspitze für eine bessere Work-Life-Balance, Chancengleichheit und Führung sorgt

Was ist “Top-Sharing” und wie kann das Arbeitszeitmodell Ärztinnen und Ärzten helfen, Karrierefortschritt und Privatleben in Einklang zu bringen? In diesem Artikel beleuchten wir, wie das Modell an der Charité und dem DHZC gelebt wird, ob es Schule machen wird und wie es dem Kollegium damit geht. Im Interview erzählen Ärztinnen und Ärzte von ihren Erfahrungen.

Dr. Kopp Fernandes und Maren Godde besprechen sich auf einer Treppe des DHZC
Teamarbeit statt Konkurrenzkampf: Beim Top-Sharing werden Karrierestufen gemeinsam erklommen

In aller Regel behandeln, forschen und lehren die Ärztinnen und Ärzte der Charité und des DHZC. Dieser Dreiklang macht die Arbeit abwechslungsreich und treibt den Fortschritt voran – sowohl den privaten als auch den der Medizin im Allgemeinen. Gepaart mit Schicht- und (Ruf-)Bereitschaftsdiensten wirkt dieser Dreiklang aber auch oftmals einer gesunden Work-Life-Balance entgegen.  

Zeitgleich hat die Charité ein Frauen- bzw. ein Männerproblem: Die Führungspositionen in der klinischen Behandlung und der Forschung sind überproportional mit Männern besetzt. Während an der Charité deutlich mehr Frauen Medizin studieren (rund 65% sind Studentinnen), gleicht sich das Verhältnis schnell wieder aus. In der Assistenzärzteschaft, Tarifgruppe “Ä1”, arbeiten zu 54% Ärztinnen. Auch das Geschlechterverhältnis von “Ä2” Fachärzten (48%) zu Fachärztinnen (51%) ist ausgeglichen. Auf der nächsten Karriereebene – das oberärztliche Kollegium mit Tarifgruppe “Ä3” – kippt jedoch das Verhältnis: Weniger als 37% der Stellen sind mit Frauen besetzt.

Sabine Jenner, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité sagt: „Ein häufiger Grund ist, dass sich Frauen auch nach der Elternzeit stärker in der Familienbetreuung engagieren, als es ein Mann tun würde. Viele Fachärztinnen kehren nach der Elternzeit in Teilzeit (55% Ä2) in die Klinik zurück. Leider überwiegt in der Medizin noch häufig die Einstellung, dass Top-Sharing in der Ä3 oder auch Ä4-Funktion nicht möglich sei und somit gelingt vielen Fachärztinnen in Teilzeit trotz hervorragender Qualifikation kein weiterer Karriereaufstieg.

Gleich mehrere Aktivitäten und Angebote der Charité sollen dem Geschlechter-Missverhältnis entgegenwirken. So gibt es Frauenförderprogramme und Maßnahmen wie das Mentoring Competence Center, die Rahel-Hirsch- und die Lydia-Rabinowitsch-Förderung, das Rotunda Habilis Netzwerk, sowie das CONTINUE-Projekt zur Absicherung von schwangeren Wissenschaftlerinnen in Drittmittelprojekten.

Zuletzt bewährt sich an immer mehr Klinken der Charité und dem DHZC ein weiteres Arbeitszeitmodell: Top-Sharing. Dieses verbessert die Karrierechancen von Ärztinnen und Ärzten in Teilzeit und kommt so insbesondere auch Personen zugute, die familiär stärker eingebunden sind oder die neben der Arbeit forschen.

Prof. Falk und die Oberärzte Frau Godde und Herr Dr. Kopp Fernandes besprechen sich
Fortschritt vorantreiben: An der Charité und dem DHZC gilt dieses Credo nicht alleine für die klinische Behandlung und Forschung, sondern auch für moderne Mitarbeitendenentwicklung.

Was ist Top-Sharing bzw. eine Doppelspitze?

Top-Sharing ist eine Wortkreation aus Topmanagement (Führungsposition) und Job-Sharing. Es bezeichnet ein Arbeitszeitmodell, bei der eine Führungsposition mit gleich zwei Personen im Tandem besetzt wird. Diese teilen sich die anfallenden Aufgaben und halten sich gegenseitig den Rücken frei. Sie profitieren davon, dass sie wesentlich flexibler arbeiten können. Oftmals eben auch in Teilzeit. Zudem werden komplexe Entscheidungen auf zwei paar Schultern verteilt und Strategien automatisch doppelt durchdacht.

Durch gute Absprache ist auch in Urlaubszeiten immer eine Führungsperson vor Ort, was Prozesse beschleunigt. Zudem können Führungspositionen ein Stück weit losgelöst von reiner Arbeitszeitverfügbarkeit besetzt werden. So zählt weniger die verfügbare Arbeitszeit und stärker die Qualifikationen wie die klinische oder wissenschaftliche Exzellenz.

Insbesondere für Beschäftigte, die neben der Arbeit anderweitig stark eingebunden sind – oftmals sind das Eltern, egal ob Frau oder Mann – ist das Top-Sharing ein hervorragendes Modell, um die Work-Life-Balance bei voranschreitender Karriere im Gleichgewicht zu halten.

Herr Dr. Kopp Fernandes und Frau Godde arbeiten beide in Teilzeit und bilden gemeinsam die oberärztliche Doppelspitze der kardiochirurgischen Ambulanzen.
Herr Dr. Kopp Fernandes und Frau Godde arbeiten beide in Teilzeit und bilden gemeinsam die oberärztliche Doppelspitze der kardiochirurgischen Ambulanzen.

Interview: Ärztliche Doppelspitze in der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie

Prof. Dr. Falk hat als Klinikdirektor am Deutschen Herzzentrum der Charité im März 2022 ein Experiment gewagt: er hat eine ausgeschriebene Oberarztstelle zur Leitung der chirurgischen Ambulanzen mit einer Doppelspitze aus Maren Godde und Dr. Laurenz Kopp Fernandes besetzt, die sich gemeinsam bei ihm beworben hatten. Wir haben mit Professor Falk und den beiden Medizinern gesprochen.

Top-Sharing ist an der Charité und dem DHZC noch nicht verbreitet. Hatten Sie Vorbehalte, das Arbeitszeitmodell einzuführen?

Prof. Dr. Falk: Ja. Zuerst war ich überrascht über die gemeinsame Bewerbung von Frau Godde und Herrn Kopp Fernandes, denn für mich war das neu.

Dann gab es aus dem Kollegium aber auch bei mir selbst Bedenken, eine solche Leitungsposition mit einer Doppelspitze zu besetzen. Mir war bis dato eigentlich lieber, wenn die Verantwortung klar bei einer Person liegt und ich entsprechend auch nur eine Ansprechperson habe. Meine Befürchtung war, dass die Kommunikation beim Top-Sharing-Modell möglicherweise weniger gut funktioniert. Gerade weil durch die Vereinigung zum DHZC vieles im Umbruch war und zum Teil auch noch ist.

 

Warum haben Sie sich dann doch für das Duo entschieden?

Bei der Besetzung einer Oberarzt-Stelle müssen zuerst natürlich die fachlichen Qualifikationen stimmen. Ich wusste, dass beide diese mitbringen.

Und nach intensiven Gesprächen war mir klar, dass wir dieses Experiment machen sollten – obwohl wir auch andere gute Bewerbungen hatten.

 

Nun, rund zwei Jahre später: Hat sich das “Top-Sharing-Experiment" bei Ihnen bewährt?

Prof. Dr. Falk: Ich gebe gern zu, dass sich meine anfänglichen Befürchtungen absolut nicht bewahrheitet haben. Im Gegenteil, es ist immer jemand erreichbar und beide sind sprechfähig. Da findet kein Bruch in der Kommunikation statt.

Frau Godde und Herr Kopp Fernandes beteiligen sich auch aktiv an der Gestaltung des DHZC, sowohl was die Planungen zum Neubau als auch die Neustrukturierung der ambulanten Bereiche und die Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit angeht. Kurz: Die Leistung stimmt, der Output stimmt und die Führung stimmt. 

Prof. Falk und Frau Godde besprechen sich
Gute Kommunikation als Schlüssel, um bei der Patientenversorgung aber auch Projekten wie der Umstrukturierung der Ambulanzen Oberwasser zu behalten.

Frau Godde, Herr Dr. Kopp Fernandes, wie kam es eigentlich zu Ihrer Doppelbewerbung?

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Wir waren beide vorher schon in Teilzeit und wollten aus verschiedenen Gründen auch nicht zurück in die Vollzeit gehen. Insbesondere weil wir beide Familien haben und entsprechend Zeit mit unseren Kindern verbringen wollen. Unabhängig voneinander hatten wir die Idee, dass eine Doppelbewerbung eine gute Möglichkeit wäre.

Maren Godde: Als wir gemeinsam einen Echo-Kurs gegeben haben, kam das Thema in der Mittagspause auf. Und obwohl wir uns vorher noch nicht gut kannten, haben wir uns in das Wagnis begeben.

 

Sie arbeiten beide in Teilzeit. Wie stimmen Sie Ihre Arbeitszeiten miteinander ab?

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Das ist einer der Vorteile des Modells, es ist immer jemand von uns da. Wir stimmen unsere normalen Arbeitszeiten, aber auch Urlaubszeiten miteinander ab. 

Maren Godde: Wir gehen da tatsächlich sehr ins Detail und stimmen uns oft stundengenau ab, sodass auch unser Team immer genau weiß, wer wann erreichbar ist.

Frau Godde im Gespräch mit ihrem Kollegen Dr. Kopp Fernandes
Die Kardiologin Maren Godde macht Karriere als Oberärztin im Top-Sharing. Sie hat drei Kinder und promoviert derzeit.

Haben Sie unterschiedliche Stärken?

Maren Godde: Laurenz ist der Ruhigere von uns beiden und ich die Impulsivere. [Beide lachen] Das ist eine perfekte Mischung.

 

Wie treffen sie gemeinsame Entscheidungen?

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Wir sprechen sehr viel miteinander und kommunizieren auch viel via E-Mail. Anfangs hatten wir es auch mit Regelterminen versucht, die haben sich im Klinikalltag aber als nicht praktikabel erwiesen.

Maren Godde: Und wenn einer von uns im Urlaub ist und Entscheidungen getroffen werden müssen, dann trägt der oder die andere sie selbstverständlich mit.

Klar, wir sehen manches unterschiedlich. Bisher gab es aber keine einzige Situation, wo es eine Auseinandersetzung gab oder wo einer von uns mit knirschenden Zähnen klein beigeben musste. Es klappt super.

 

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass Top-Sharing funktioniert?

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Grundvoraussetzung ist, dass es auf persönlicher Ebene klappt und dass man viel miteinander spricht. Ohne gute Kommunikation kann solch eine Doppelspitze nicht funktionieren.

Maren Godde: [nickt] Es braucht Offenheit, Teamfähigkeit und ja, vielleicht auch eine gewisse Reife, die Meinung des anderen anzunehmen, abzuwägen und stehen zu lassen.

 

Wie würden Sie Ihre Work-Life-Balance beschreiben?

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Es gab gerade im letzten Jahr ein hohes Arbeitspensum. Aber in einer Doppelbesetzung hat man eben einen Tag in der Woche den Rücken frei und kann sich raushalten.

Maren Godde: Dadurch, dass wir unsere Arbeitszeiten absprechen, kann Laurenz alle dringenden Fragen direkt beantworten, auch wenn ich nicht in der Klinik bin und umgekehrt. Überstunden fallen aber auch bei uns regelmäßig an.

Dr. Kopp Fernandes im Gespräch mit seiner Kollegin Frau Godde
Dr. Laurenz Kopp Fernandes arbeitet neben der geteilten Oberarzt-Stelle in einem EU-Forschungsprojekt und hat drei Kinder.

Sehen Sie sich gegenseitig als Sparringspartner?

Maren Godde: Also als Sparringspartner nicht. Wir kämpfen ja nicht miteinander. Vielmehr erlebe ich uns als Partner-in-Crime. Als ein Team.

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Man sieht natürlich, wie die andere Person Herausforderungen gelöst hat und bespricht das Ganze dann auch. Dadurch lernt man fortwährend voneinander.

Maren Godde: Dem stimme ich zu. Ich erlebe es auch als persönliche Bereicherung, dass man sich abgleicht, sich auch häufiger selbst hinterfragt.

 

Wird das Top-Sharing-Modell an der Charité Schule machen?

Prof. Dr. Falk: Ich wundere mich inzwischen, dass es bei uns nicht mehr solche Besetzungen gibt. Sicher nicht jede Stelle ist dafür geeignet. Aber generell wäre es in vielen Bereichen möglich. Und die Vorbehalte werden schwinden.

Dr. Laurenz Kopp Fernandes: Es wird garantiert immer mehr werden.

Maren Godde: Ja, das glaube ich auch. Interessant ist, dass ich gerade bei einer Oberarzt-Fortbildung war und viele junge Oberärzte ganz überrascht waren, dass wir die Möglichkeit zum Top-Sharing bekommen haben. Die Nachfrage ist also da.

 

Top-Sharing: Ein Modell mit Zukunft

Gute Medizin ist Teamarbeit. Das gleiche kann auch für Führung gelten. Top-Sharing setzt sich zurzeit an immer mehr Kliniken der Charité und des DHZC durch und ermöglicht es Ärztinnen und Ärzten, ihre klinische Karriere, ihre Forschung, aber auch ihr Privatleben unter einen Hut zu bringen. Das sorgt auch für Chancengleichheit bei Eltern, die eventuell in Teilzeit arbeiten müssen oder wollen.

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Oder du hast Fragen rund um das Thema Top-Sharing und willst dich beraten lassen? Wende dich gerne vertrauensvoll an unsere Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten.

 

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