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Interprofessionelle Führung und Zusammenarbeit an der Charité

Pflege, Ärzteschaft und zahlreiche weitere Berufsgruppen arbeiten in der Krankenversorgung eng zusammen. Das Verständnis für die Aufgaben der anderen und wer das Sagen hat, ist nicht immer eindeutig. Auf der Station 102i wurde damit nun aufgeräumt. Die Station wird interprofessionell von der Pflege und der Ärzteschaft gemeinschaftlich geführt. In diesem Artikel erfährst du, wie das funktioniert und welche Vorteile es mit sich bringt.

Guter Zusammenhalt ist dem Führungsteam wichtig. Die Oberärztinnen Petra (links im Bild) und Julia führen gemeinsam mit dem Stationsleiter Tom sowie vier weiteren Kolleginnen und Kollegen aus Pflege und Ärzteschaft die 102i.

Der ganzheitliche Blick auf das Wohl der Patientinnen und Patienten erfordert eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen im Schulterschluss. Aus diesem Grund hat sich die Charité auf den Weg gemacht, die interprofessionelle Führung von Stationsleitungen und Oberärztinnen bzw. Oberärzten zu stärken. 

Das Team Organisationsentwicklung bietet gemeinsam mit der strategischen Entwicklung Workshops an, in denen die Leitungen eigene Ideen zur Umsetzung für die Gestaltung ihrer Stationen entwickeln können. Vorab geht es darum, die wirklich kritischen Alltagssituationen zu besprechen und sich mit seinen jeweiligen Bedürfnissen noch besser kennenzulernen und zu verstehen. 

Inzwischen haben bereits rund 200 Stationsleitungen und Oberärztinnen den Raum für Ideen zur interprofessionellen Führung genutzt, Ideen entwickelt und diese auf ihren Stationen umgesetzt. Dazu zählen z. B. die konsequente Umsetzung der interprofessionellen Visite oder berufsgruppenübergreifende Teamaustauschformate.

Im Interview erzählen Tom Amende, Stationsleitung der 102i und Dr. Julia Herzig-Nichtweiß, stationsverantwortliche Oberärztin der 102i, wie sie die interprofessionelle Führung ihrer Teams auf der Station umgesetzt haben.

Tom und Julia teilen sich nicht nur das Büro, sondern auch Führungsverantwortung. Im Interview geben sie Einblicke in ihre interprofessionelle Führung.

Liebe Julia, lieber Tom, ihr habt am Workshop "Interprofessionelle Führung" teilgenommen. Was hat sich seitdem auf eurer Station verändert?

Tom: „Der Workshop hat uns definitiv motiviert, unsere gemeinsame Leitung der Station 102i weiter auszubauen und Ideen umzusetzen, die wir dort speziell für unsere Station entwickelt und als sinnvoll erachtet haben. Manche Ideen bestanden schon und wir konnten dann überlegen, wie wir in die Umsetzung gehen.“

Was konkret habt ihr schon umgesetzt?

Julia: „Die sichtbarste Veränderung ist sicherlich die Einrichtung gemeinsamer interprofessioneller Leitungsbüros. Wir haben drei Büros umgebaut und ein Desk-Sharing-System eingeführt. Durch die räumliche Veränderung sind wir deutlich näher an den Themen des jeweils anderen. Das sorgt für Transparenz und damit besseren Informationsfluss. Davon profitieren im ersten Schritt unsere Teams und dann natürlich unsere Patientinnen und Patienten.“

Gemeinsame Büros intensivieren den Austausch und sorgen für mehr Transparenz.

Ein gemeinsames Leitungsbüro klingt erst einmal nach einer rein organisatorischen und technischen Maßnahme. Ist es das wirklich?

Tom: „Es geht natürlich um deutlich mehr. Die Mitarbeitenden zu involvieren und ihnen zu erklären, dass uns die interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig ist, war der eigentliche Hebel. So können wir sie besser unterstützen, damit sie unsere Patientinnen und Patienten wiederum bestmöglich versorgen können. Das neue Büro-Konzept hilft uns dabei, den Bedürfnissen der Mitarbeitenden effektiver zu begegnen.“

Welche konkreten Verbesserungen habt ihr dadurch auf eurer Station erlebt?

Tom: „Die Abstimmungsprozesse sind viel kürzer geworden. Wir agieren als Team noch besser, weil wir ein größeres Verständnis für die Themen der jeweils anderen Berufsgruppe haben.“

Julia: „Ein weiterer Vorteil ist, dass wir schneller mitbekommen, wenn etwas nicht gut läuft oder es irgendwo hakt. Im stressigen Alltag kriegt man nicht alles zu jeder Zeit mit, aber die räumliche Nähe sorgt dafür, dass wir Probleme angehen können, bevor sie entstehen.“

Die 102i ist eine interdisziplinäre Neurointensivstation am Campus Charité Mitte. Sie gehört zur Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie.

Habt ihr Tipps für andere Leitungsteams, die eine ähnliche Veränderung anstreben?

Tom: „Es erfordert viel Willen und Geduld. Wir haben alle unsere Routinen und eingeübten Prozesse, die muss man hinterfragen. Manchmal auch ganz administrativ: Wir mussten uns zum Beispiel mit internen Richtlinien auseinandersetzen, was wir auf unser Türschild schreiben dürfen. Es hat eine Weile gedauert, bis an unserem Büro "Interprofessionelles Leitungsbüro" stehen konnte.“

Julia: „Der Rückhalt des Vorstands war in dieser Situation von großem Vorteil. Wir konnten argumentieren, dass diese Art der Zusammenarbeit von der Führungsebene gewünscht wird, und dadurch hatten wir das Schild innerhalb weniger Tage.“

Kleines Schild, große Wirkung. Es zeigt, dass Pflege und Ärzteschaft die Führung gleichberechtigt übernimmt.

Verändert ein Schild an der Tür wirklich die Zusammenarbeit?

Tom: „Unsere Station hat über 100 Mitarbeitende. Sichtbare Veränderungen wie ein neues Türschild sind genauso wichtig wie spürbare Veränderungen in der Arbeitsweise und Kommunikation. Ein Schild ersetzt natürlich nicht das Gespräch über diese Veränderungen, aber es erinnert uns alle daran, dass wir interprofessionell führen und zusammenarbeiten wollen.“

Was habt ihr noch im Sinne einer interprofessionellen Führung umgesetzt?

Tom: „Wir haben eine monatliche interprofessionelle Teamsitzung, mit Themen, die uns alle betreffen und wir protokollieren für diejenigen, die nicht dabei sein konnten.“

Julia: „Es gibt ein Onboarding-Programm für neue Ärztinnen und Ärzte. Das dauert 3-4 Tage und beinhaltet auch Einführungen in die Pflege sowie bei den Atmungstherapeuten, inklusive Geräteeinweisungen. Wenn das Onboarding so stattfindet, ist der Rahmen für Interprofessionalität von Beginn an gesetzt.“

Tom: „Wir haben auch interprofessionelle Feedbackgespräche eingeführt, die einfach per QR-Code gebucht werden können. Mitarbeitende können also mit einem Zweiergespann aus Pflege und Ärzteschaft – insgesamt besteht unser Leitungsteam ja aus sieben Personen – zugleich sprechen. Und das ergibt auch Sinn: Wir haben natürlich unterschiedliche Perspektiven auf die Stärken und Entwicklungsfelder unserer Mitarbeitenden, weil wir verschiedene Dinge von ihnen erwarten.

Eine wichtige Voraussetzung für transparente Zusammenarbeit und einen guten Informationsfluss über alle Berufsgruppen hinweg ist der Stationsbuddy – ein digitales Kommunikationstool auf der Station. Er bietet eine Übersicht über alle Patientinnen und Patienten sowie die geplanten Behandlungen. Niemand muss mehr Patienten suchen und wir sparen uns viel Telefoniererei und Zettelwirtschaft.“
 

Über 100 Mitarbeitende in einem Team zu vereinen, ist keine einfache Aufgabe. Auf der interdisziplinären Neurointensivstation 102i gelingt es trotzdem.

Was sind aus eurer Perspektive Voraussetzungen für eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit?

Tom: „Ein Leitungsteam, das sich gegenseitig vertraut und offen darüber sprechen kann, was gut läuft und was nicht. Wichtig ist auch, dass positive Veränderungen für alle im Team erlebbar sind.“

Julia: „Letztlich ist es eine Frage der Haltung: Es geht darum, die Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden zu fördern und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und das gelingt uns in unserem Interprofessionellen Leitungsteam noch deutlich besser.“

Für vertrauliche Gespräche, ganz egal vor welchem Hintergrund, nimmt sich das Führungsteam immer Zeit.

Ihr seid nicht allein mit eurem Engagement. Was braucht es, damit wir die interprofessionelle Zusammenarbeit in einer Organisation von >20.000 Mitarbeitenden flächendeckend stärken?

Tom: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es einen guten Mix braucht: Fakten schaffen durch organisatorische, direkt spürbare Veränderungen und gleichzeitig den Blick auf verbesserte Kommunikation und gemeinsame Arbeitsweise richten. Es fängt jedoch immer bei einem selbst an. Das eigene Vorleben der Veränderung und Feedback sind der Start. Ein Beispiel dazu: Ich lasse Sätze wie ‚Die Ärzte haben schon wieder…‘ nicht mehr zu. Julia genauso: ‚Die Pflege hat schon wieder…‘ ist fast raus aus dem Sprachgebrauch unserer Mitarbeitenden. Solche Sätze schaffen Fronten. Wir fragen dann nach: ‚Was konkret war nicht gut und wem können wir hierzu zielführendes Feedback geben?‘“

Julia: „Im nächsten Schritt würde ich es spannend finden, mehr darüber zu erfahren, was andere umgesetzt haben, was anderen Teams wirklich im Arbeitsalltag hilft und vielleicht auch das, was man probiert und dann verworfen hat, weil es sich nicht bewährt hat. Auch davon können natürlich andere Teams profitieren.“ 

Lieben Dank euch beiden für eure Zeit und vor allem euer großes Engagement!

Das Interview führten Friederike Kettelhoit und Annika Lübbers, Team Organisationsentwicklung & Projektteam Interprofessionelle Führung.

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