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Akademisierung der Pflege: Was wir aus Australien lernen können und warum es eine neue Eingruppierung gibt

Die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe nimmt Fahrt auf. Die Charité hat nicht nur just eine eigens darauf fokussierte Stabsstelle gebildet, sondern gruppiert ab Januar 2025 die Kolleginnen und Kollegen der Pflege- und Funktionsdienste mit akademischem Titel neu ein. Was sich gerade alles tut und was wir aus Australien lernen können, erzählt die Leiterin der Stabsstelle, Sarah Goldsteen, im Interview.

Sarah Goldsteen leitet die Stabsstelle Akademisierte Gesundheitsfachberufe. Ihr Ziel ist es, Rollenprofile zu schärfen und evidenzbasiertes Arbeiten zu fördern.

Hallo Sarah, du hast in Australien Pflege studiert. Was wird dort anders gemacht?

„Man geht nicht zum Doc, man geht zur Nurse.

Australien hat eine interprofessionelle Krankenversorgung mit dem Patienten im Mittelpunkt und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die standardisierte Krankenversorgung garantieren – man hat dort ein Recht auf Gesundheit. Die Pflege ist Teil dieses Systems und leistet ihren Teil autonom im interprofessionellen Team. Der Beruf kann studiert oder erlernt werden. Je nach Ausbildungsabschluss ändert sich der Handlungsrahmen.

Die Pflege kann in Australien zum Beispiel autark Diagnosen stellen und demnach Medikamente verschreiben. Sogar BTM dürfen von studierten Pflegekräften mit den relevanten Qualifikationen eigenständig und ohne ärztliche Einbindung verschrieben werden.

Die Praxis im Alltag mit Bezug auf Behandlung/Versorgung und Qualität der Behandlung/Versorgung ist dort standardisiert und definiert. Diese Standards sind nicht in Berufsgruppen aufgeteilt. Das bedeutet, dass wir alle ein Team sind und sowohl Ärzteschaft als auch Pflege, Hebammen, Notfallsanitäter bis hin zur Physiotherapie alle die gleiche Sprache sprechen und alle gleich verantwortlich für die Einhaltung dieser Standards sind. Das Teamverständnis, bei dem alle das gleiche Ziel haben (den Patienten optimal zu versorgen) ist enorm.“

Das SBAR-Schema wird gerade in der Notfallmedizin angewandt und strukturiert die Patienten-Übergabe. Sarah hat bereits in Australien damit gearbeitet. Dort wie hier sind die Pflegekräfte mit dem Schema vertraut.

Welche Aufgaben und Ziele hat deine neue Stabsstelle?

„Komprimiert zusammengefasst geht es uns darum, die Akademisierung in der Pflegepraxis zu verankern und die Qualität der Patientenversorgung durch Akademisierung zu verbessern. Dies soll aber keinesfalls heißen, dass Nicht-Akademisierte keine Qualität in der Versorgung liefern oder liefern können!

Zudem wollen wir eine enge Zusammenarbeit mit der Fakultät entwickeln, um zu garantieren, dass die theoretischen Inhalte des Studiums auch im Praxisalltag gelebt werden bzw. überhaupt auch gelebt werden können. Dazu erfordert es unter anderem auch die unterstützende Einarbeitung der primär qualifizierten Bachelor-Absolventinnen und Absolventen. Dies soll in Zukunft über die Stabsstelle mittels Transitionsprogramms geschehen.

Das ultimative Ziel ist es, die Pflege durch die Akademisierung und die damit verbundene Vermittlung von Evidenz und Best Practices selbstbewusster und verantwortungsvoller zu machen, dass sie fachlich auf Augenhöhe mit dem ärztlichen Versorgungsteam und weiteren Professionen kommunizieren können.

Es ist notwendig, den Gap zwischen Ärzteschaft und Pflege zu schließen und Verantwortungsbereiche übergreifend zu handhaben. Wenn die Ärzteschaft mir und meinem Können vertraut und ich mir auch selbst zutraue, autonom in einem definierten Handlungsrahmen zu arbeiten und dafür auch die Verantwortung zu tragen, sind wir ein ganzes Stück weiter.”

Sarah arbeitet eng mit dem Prodekan und leitenden Notfallmediziner Prof. Martin Möckel zusammen. Hier tauschen sie sich gemeinsam mit Jessica Frömmer, Pflegeleitung der Notaufnahme am CCM, zur Kommunikation im Schockraum aus.

Wie gehst du diese Aufgaben an?

„Im ersten Schritt wollen wir Rahmenbedingungen und Strukturen erstellen. Das bedeutet, dass wir die Aufgabenprofile für die Bachelor- und Master-Absolventinnen und Absolventen definieren. Dies ist ‚theoretisch‘ eigentlich relativ einfach, denn wir müssen das Rad nicht neu erfinden: Die WHO und das International Council of Nurses hat diese Rahmenbedingungen bereits formuliert. Allerdings ist es jetzt die Aufgabe der Stabstelle, dies für die Charité zu definieren und dann in die Praxis zu übertragen.”
 

Wie arbeiten akademisierte Kolleginnen und Kollegen an der Charité? Hier macht sich Sarah in der Notaufnahme mit ihrem Arbeitsalltag vertraut.

Was wird sich an der Charité im Blick auf die Pflege verändern?

„Ich hoffe sehr, dass die Pflege an der Charité und auch in Deutschland durch die Akademisierung einen größeren Handlungsspielraum bekommen wird. Sie können somit noch stärker dazu beitragen, nicht nur die Ärzteschaft, sondern das gesamte Gesundheitssystem entlastet wird und die Versorgungsqualität steigern.

Ich glaube aber nicht, dass die Ausbildungsberufe verschwinden sollen. Ich selbst komme aus einem Parallelsystem mit Ausbildung und Studium. Und wenn man im angloamerikanischen Raum guckt, haben es eigentlich alle so etabliert, dass man beide Qualifikationswege anbietet, um durch den Mix die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.”

Zwei Pflegende sitzen am Tisch und studieren
Durch die Akademisierung können neue Kompetenzprofile geschaffen werden und das Berufsbild der Pflege kann sich weiterentwickeln.

Du hast selbst in der Pflege und als Centrumsleitung gearbeitet: Welche Erfahrungen hast du mit der Pflegearbeit gemacht?

„In Deutschland kann die Pflege viel, darf jedoch nur wenig. Die Delegation ist eine große Hemmschwelle zur Eigenverantwortung und somit auch zur Identifikation mit dem eigenen Beruf im Alltag. Das ist schade.”

Die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe nimmt an der Charité Fahrt auf und wird die Versorgungsqualität nachhaltig verbessern.

Zu Beginn 2025 wird es eine neue Eingruppierung für akademisierte Gesundheitsfachkräfte geben. Was genau ändert sich?

„Bachelor- und Masterabsolventinnen bzw. Absolventen, die bei uns in den Gesundheitsfachberufen arbeiten, werden ab Januar 2025 von der sogenannten P-Tabelle in die E-Tabelle überführt – natürlich mit Rücksprache.

Mit einem Bachelor wird man fortan nach Einsatzort – ob Normalstation oder Intensivbereich – in die E9b oder E9c eingruppiert. Mit einem Master zur Advanced Practice Nurse gibt es sogar eine E13 bei entsprechender Aufgabenstellung. Universitäre Hebammen klettern von der P9 auf eine E9c.

Bisher waren die Kolleginnen und Kollegen auf die Entgeltgruppen P7, P8 oder P9 verteilt und mussten für eine Höhergruppierung über die Stationsleitungen und Centrumsleitungen gehen. Das war für beide Seiten ein größerer Aufwand und zum Teil mussten Projekte nachgewiesen werden. Sprich, es war unnötig kompliziert und auch nicht immer fair.

Das schaffen wir jetzt ab und definieren damit auch die Rollenprofile akademisierter Teammitglieder neu. Wichtig dabei ist, dass die Kolleginnen und Kollegen weiter am Bett arbeiten. Sie sollen sicherstellen, dass die evidenzbasierte Pflegepraxis auf den Stationen umgesetzt wird, also das im Studium Erlernte direkt anwenden.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Sarah Goldsteen

Sarah Goldsteen stammt aus NRW und ist nach dem Abitur mit einem Work & Travel Visa nach Australien gekommen. Down Under gefiel es ihr dann so gut, dass sie blieb und an der Western Sydney University den Bachelor of Nursing absolvierte – in Australien ist Pflege bereits seit den 1980er-Jahren akademisiert.

Anschließend spezialisierte Sarah sich im St. Vincents Hospital in Sydney auf Intensivpflege. Parallel zur Arbeit machte sie einen Master in Health Science Clinical Practice (ICU/Emergency) und wurde Clinic Nurse Specialist (CNS), dem Pendant zur Advanced Practice Nurse.

Sarah begann sich verstärkt für Managementthemen zu interessieren und wurde erst Teamleitung, Stationsleitung und schließlich Pflegedirektorin an einer privaten Klinik.  

2021 zog sie aufgrund der Pandemie mit ihrem Mann und ihren Kindern zurück nach NRW, wo sie als Pflegerische Centrumsleitung für Anästhesie und Intensiv tätig wurde. Im Juli 2023 kam dann der Wechsel an die Charité.

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